Rezension: Kertész, Imre – „Kaddisch für ein nicht geborenes Kind“

Roman
Aus dem Ungarischen von György Buda & Kristin Schwamm
Verlag Rowohlt, 1992
ISBN: 978-3-499-22574-1
Originaltitel: Kaddis a meg nem született gyermekért, 1990
Bezug: Buchhandel

Das Totengebet „Kaddisch“, das die Juden für ihre Toten sprechen. Kertész spricht es für sein nicht geborenes Kind:
In einem über viele Seiten andauernden atemlosen Monolog begründet der Ich-Erzähler, B., bzw. Briefschreiber an sein ungeborenes Kind, sein Nein! zu einem Nachkommen. Er liquidiert sich damit selbst, kann „sein Dasein als Möglichkeit des Seins von Nachkommen gedacht“, nicht akzeptieren.
Inmitten seines Monologes, inmitten sich auftürmender Wort- und Satzgebirge, die hoch und dicht wachsen, stürzen Erinnerungen auf ihn ein: An seine grausame Kindheit als Scheidungsweise, an despotische Lehrer, den autoritären Vater. Sie alle suchten seinen Willen zu brechen. (seit damals fühlt er sich von heimlicher Schuld bedrängt) – und bereiteten ihn doch in keiner Weise darauf vor, was er im KZ erleben musste. Später kommt ihm vor, als sei Auschwitz nur eine Übertreibung jener Tugenden gewesen, zu denen er seit frühester Kindheit erzogen worden war: Er sollte gebrochen werden, seine Persönlichkeit ausgelöscht. Er denkt an seine jüdischen Verwandten, denkt nach und analysiert; er kann gar nicht mehr anders; sein ganzes Leben ist verpfuscht. Sein Redezwang gleicht seinem Zwang schreiben zu müssen, um sich befreien zu können Die Ehe mit einer Ärztin zerbricht an seiner strikten Weigerung Kinder zu zeugen. Immer wieder rechtfertigt er sich damit und spricht zu seinen ungezeugten Kindern (die er sich gleichwohl sehr gut vorstellen kann): „…mein Dasein als Möglichkeit Deines Seins betrachtet. Dein Nicht-Sein als notwendige und radikale Liquidierung meines Daseins betrachtet…“
Seine ehemalige Frau kann ihm nur noch helfen, in dem sie ihm wieder und wieder Antidepressiva verschreibt. Er aber glaubt daran, dass er dazu ausersehen ist, einsam zu sein, kein Zuhause, keine Heimat zu haben.
Der Briefschreiber B. konstatiert, dass nicht das Böse das Außerordentliche ist, sondern das Gute. „Freiheit hat er erfahren“, als ein Mithäftling, genannt „der Lehrer“, ihm freiwillig etwas zu essen gibt, obwohl das für diesen doch auch lebensnotwendig war.
Immer wieder zitiert er. die „Todesfuge“ von Celan, ist überzeugt, dass auch für ihn schon „ein Grab in den Wolken geschaufelt ist“ – und dass er selbst dazu ausersehen ist zu graben, tiefer und tiefer, um damit Zeugnis zu geben.

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